Fantastic Life
[...]
The Siberian mushroom Santa
Was in fact Rasputin's brother
And he didst walk round Whitechapel
To further the religion of forgiven sin murder
Fantastic lie!
[...]
And I just thought I'd tell you
And I just thought I'd tell you
About fantastic life!
And I just thought I'd tell you
Some fantastic lies
In Memoriam Mark E, Smith
Von dem Tod Mark E Smith's habe ich erst drei Tage später erfahren - an einem Ort, der dem Sänger und Bandleader von The Fall sicherlich würdig gewesen wäre. Gestorben ist er am 24. Januar 2018, am 27. Januar befand ich mich mit einem Freund im WP8 in Düsseldorf, einer kleinen Kneipe, die, wenn ich es mir recht überlege, ganz in das Bild, das ich von The Fall habe, passt: konstant gegen den Strom, konstant in aller Wandlungsfähigkeit - die Beschreibung passt sowohl auf den Ort als auch die Gruppe.
Es konnte nicht sein, dass ich eine Pilz-Homepage mache, ohne einen Eintrag zu "The Fall" zu verfassen. Pilze und Bäume bevölkern nun nicht gerade den musikalischen Kosmos der Gruppe. Doch eine Stelle aus dem Lied "Fantastic Life" nimmt zum Glück auf einen "mushroom santa" Bezug, weshalb ich nun guten Gewissens meine Ergüsse in die Tastatur hämmern kann.
The Fall hat mich begleitet, ja. Nicht so wie den Freund, der mir noch in derselben Nacht sagte, dass er sein Leben mit der Abfolge der Fall-LPs erzählen könnte. Dazu kam ich zu spät zu dieser Gruppe. Ich war schon Mitte 20, als ich endlich Zugang zu ihrer Musik fand. In kürzester Zeit kaufte ich mir alles, was von ihr zu bekommen war. Und seitdem begleitet ihre Musik mich und wird es auch in Zukunft tun. Sie richtet einen auf, wenn man der Welt mal wieder ins Gesicht kotzen möchte und zeigt, wie man die Wirklichkeit mit einer Kette von Wortassoziationen in die Knie zwingt.
Was ich meine, wird in den Textzeilen aus dem Song "Fantastic Life" aus dem Jahre 1981 deutlich. Es erschien als B-Seite auf der Single "Lie Dream of a Casino Soul" und mit seinen hellen monotonen geschrubbelten Gitarrenklängen, eingestreuten melodiösen Keyboardsounds und dem nuscheligen ständig genervt wirkenden (Sprech)Gesang Smith's präsentiert es eine perfekte Garage-Ästhetik.
Und das, was Mark E. Smith hier auf dem begrenzten Raum von fünf Versen schafft, will erst einmal gebührend gewürdigt werden. Von einem Pilzweihnachtsmann geht es im nächsten Vers zu dem Bruder Rasputins, der im folgenden Vers in Whitechapel unterwegs war, um die Religion des vergebenen Sündenmordes zu verbreiten. Als Abschluss wird die phantastische Lüge genannt. "Und ich dachte mir, ich erzähle euch von phantastischem Leben", so tönt es etwas weiter im Lied. Ja, hier ist Grandiosität am Werk. Kryptische, assioziativ verbundene Zeilen, die man mit Sinn füllen kann, der jedoch genauso sinn-los daherkommt, als ob man nichts verstehen würde. Doch ein Gefühl entsteht: das der wortauftürmenden Abstrusität, die befreiend wirken kann.
In dem Song geht es insgesamt um Verrat, Verschwörungstheorien, und dies hat sicherlich auch einen bandbiographischen Hintergrund. Auf der Rückseite der Single gibt es einen Text von Mark E. Smith, in dem er bestimmte Leute angreift, die ihn verraten hätten, und er beschuldigt sie, mit seiner Musik Geld zu verdienen, während er leer ausginge.
Doch schauen wir uns die Worte der Strophe etwas genauer an: "Der sibirische Pilzweihnachtsmann war in Wirklichkeit Rasputins Bruder". Hier liegt sicherlich eine Anspielung auf den Fliegenpilz vor, der als psychoaktiver Pilz mit dem Fleisch der Götter (Soma in den Veden) assoziiert wurde. Wie schon berichtet, sehen einige Forscher die Geburt Jesus' als Allegorie auf diesen Pilz. Doch wie kommt nun Rasputins Bruder ins Spiel? Um diese Frage zu beantworten, sind die nächsten zwei Verse von Bedeutung: "Er ging in Whitechapel umher, um die Religion des vergebenen Sündenmordes zu verbreiten." Alles klar? In dem Buch "Things I know about kings, celebrities and crooks" von William Le Queux wird berichtet, dass der Mystiker und Romanow-Vertraute Rasputin einen gewissen Alexander Pedachenko nach London schickte, um dort als Jack the Ripper Prostituierte zu ermorden. Und dies geschah wie allseits bekannt in Whitechapel. Johl, Verschwörungstheorien machen wirklich Spaß. Die Informationen bekam Le Queux angeblich von einem in London ansässigen russischen Journalisten namens Nideroest. Und warum nun wollte Rasputin eine Blutspur durch London ziehen? Pedachenko alias Jack the Ripper sollte so die Unfähigkeit Scotland Yards zur Schau stellen. (Bei diesen Informationen stütze ich mich übrigens auf die wundervolle The Fall-Fanpage: "The annotated Fall")
Mark E. Smith kommentiert es schon: Fantastic Lie. Aber gleichzeitig an späterer Stelle ist vom "fantastic life" die Rede. Und phantastisch sind diese Verszeilen in der doppelten Bedeutung des Wortes: der Phantasie entsprungen, wunderbar, wunderbar seltsam, wunderbar schön. Und ich glaube, dass es Mark E. Smith um diese Dinge ging: Er wollte die Wirklichkeit neu sehen, anders sehen, ver-rückt sehen, so dass es nur einen kleinen Schritt zwischen dem Pilzweihnachtsmann und Jack the Ripper geben kann. Das Wort schafft eine neue Welt und wortgewaltig, wortschöpferisch und weltschöpferisch war Mark E. Smith wie kein zweiter. Ja, er wird mir fehlen.