Ein Leben verwandelt sich in Schrift
Die Tinte, mit denen unsere Staatsverträge unterschrieben werden, ist mit den Leibern zerquetschter, verkochter und verbluteter Larven der Eichengallwespe getränkt. Hier wird wiederum meine These untermauert, dass staatliches Agieren immer auch einen Moment der Gewalt beinhaltet. Die Grausamkeit, die den Eichengallwespen widerfährt, ist nun aber durchaus ein extremes Beispiel, wozu staatliches Handeln in der Lage ist.
Doch wenden wir uns erst einmal der Form des Hauses der Eichengallwespe - Cynips quercusfolii - zu. Miniaturapfelgleich ist es mit einem Eichenblatt verbunden und leuchtet in gelblich-orangen-rötlichen Farben. Der Gallapfel ist hart, die Schale gibt jedoch ganz leicht nach, wenn der nötige Druck aufgebracht wird. Meistens befindet sich ein Haus nicht alleine auf einem Eichenblatt, sondern mindestens zwei, manchmal aber auch mehrere, teilen sich den begrenzten Raum. Im Inneren eines Hauses nun lebt eine Larve, die im Herbst schlüpfen wird. Und hier haben wir es mit einer Besonderheit des Lebens der Eichengallwespe zu tun. Im Herbst schlüpfen ausschließlich Weibchen. Diese legen dann in den Blattknospen der Eichenbäume unbefruchtete Eier ab, die in einer anderen Gallenform an diesem Ort überwintern. Meistens im Juni des darauffolgenden Jahres schlüpfen Männchen und Weibchen, letztere werden befruchtet und legen ihre Eier in die Blattadern von Eichenblättern. Man sieht, das Leben der Eichengallwespe ist voll und ganz auf die Eiche bezogen. Buchen und Birken wird sie wahrscheinlich nicht einmal erkennen können und existieren in ihrer Welt nicht. Durch sogenannte Cytokine wird in dem Eichenblatt eine Reaktion hervorgerufen, die zur Bildung des Gallapfels führt. Dieser umschließt dann die Larve unseres kleinen Insekts.
Tauchte die Buchengallmücke vereinzelt auf Buchenblättern auf, scheint die Eichengallwespe die Einsamkeit zu fürchten. Wahrscheinlich kommunizieren die kleinen Larven über die Blattadern miteinander und vertreiben sich die lange Wartezeit, bis es zum Ausschlüpfen kommt. Meine Güte, worüber berichtet man denn, wenn das Leben nur aus der Wand des Gallapfels besteht? Ich gehe davon aus, dass sie mit psychoaktiven Sibstanzen durchtränkt ist, und die visionären Bilder der Eichengallwespen bieten bestimmt einiges an Erzählmaterial.
Doch kommen wir zurück zu den Staatsverträgen. Aus Galläpfeln kann tatsächlich Tinte hergestellt werden, und eine Tintenproduktion aus Galläpfeln wird immer noch (auch gewerblich) betrieben. Man kann selbst einmal das Experiment wagen. Dazu verkocht man gesammelte Galläpfel und gibt Eisensalze hinzu. Sofort nimmt das Wasser eine tintenartige Farbe an und eignet sich auch vorzüglich dazu, eine Feder hineinzutauchen und mit dem Schreiben zu beginnen. Für die Besorgung von Eisensalzen genügt es, alte Eisennägel eine Zeit lang in Wasser zu legen. Tannin und Gallussäure liefern die Äpfelchen.
Bleibt noch den Punkt der Grausamkeit zu klären. Fast schon ähnelt der Prozess der Tintengewinnung und der danachfolgenden Schrift der Erzählung "In der Strafkolonie" von Franz Kafka. Wird in ihr ein Strafgefangener durch eine Apparatur mit Schrift überzogen, so werden hier zwar nicht die Körper der Larven mit Schrift gemartert, gefoltert werden sie jedoch auch. Und Schrift ist ein Ergebnis der Folter. Interessant ist es durchaus, diesem Punkt etwas nachzuspüren und sich Gedanken zu der Korrelation zwischen Gewalt und Schrift zu machen. Diese Gedanken sind wir der Eichengallwespenlarve schuldig.
Am liebsten hätte ich nun noch hinzugefügt, dass dieser Artikel mit Gallustinte geschrieben worden ist, doch im Rahmen dieses Internet-Blogs glaubt mir das sowieso niemand.