Nicht nur im Supermarkt
Als Kind und Jugendlicher kannte ich den Austernseitling - Pleurotus ostreatus - nicht. In den Supermärkten wurden Champignons angeboten - und die auch nur in ihrer weißen Form. Von meiner Jugend trennen mich nun gute 30 Jahre und der Austernseitling hat schon längst den Weg in die Regale der gängigen Geschäfte als Alternative zum Zuchtchampignon gefunden. Und neben Austernseitlingen tummeln sich Kräuterseitlinge, Shiitake und Pfifferlinge, ein Bild, was mir als Kind bestimmt den Atem verschlagen hätte. Und auf dem Münsteraner Markt konnte ich im Herbst auch einen Stand entdecken, der Wildpilze anbot, die auch für teures Geld gekauft wurden. Nun, Münster ist eine gutbürgerliche, wohlhabende Stadt. Ja, unsere Mitbürger scheinen sich den Pilzgenüssen zu öffnen, was vielleicht auch daran liegt, dass mittlerweile viele Menschen aus Osteuropa in Deutschland leben. Und Osteuropäer sind Pilzen allgemein aufgeschlossener als Deutsche es normalerweise sind. Die Zeiten ändern sich nunmal.
Doch - Trompetenfanfaren - der Genuss kann noch gesteigert werden, wenn man sich in den Wintermonaten in die Wälder begibt, um nach der Wildform der Austernseitlinge Ausschau zu halten. Wirklich - der Geschmack ist um Längen dem gekauften Supermarktpilz voraus. Ich weiß nicht, ob es sich hierbei um eine eingebildete Geschmacksteigerung handelt, denn auch unsere Psyche hat natürlich einen wichtigen Einfluss auf Sinneswahrnehmungen. Der Aufenthalt im Wald, das Finden des Pilzes, das Säubern, das Zubereiten und schließliche Verspeisen nehmen einige Stunden in Anspruch. Slow-Food in Perfektion könnte man trendig ausrufen. Und wie bescheuert es auch klingt, in diesen Stunden ist eine kleine Beziehung zwischen Pilz und Finder entstanden, der natürlich positive Auswirkungen auf die Geschmackswahrnehmung hat. Nunja, auch sind Zuchtausternseitlinge eine andere Art als die, die in mitteleuropäischen Wäldern wachsen, was natürlich auch auf Geschmacksunterschiede schließen lässt. Vom Substrat ganz zu schweigen.
Die Wildform des Austernseitlings ist ein ausgesprochener Winterpilz, der ab Temperaturen um die 11 Grad fruktifiziert und dem auch Minusgrade nicht schaden. (Einzig sein Wachstum verlangsamt sich.) Er kommt in Büscheln aus Laubholzstämmen oder Stümpfen hervor (meist Buche, obwohl meine Funde hauptsächlich auf Birken waren) und hat in einem älteren Stadium ein muschelförmiges lappiges Aussehen. Sein Geruch wird als pilzig und im Alter als dumpf und muffig beschrieben. Aber Pilze halten sich nicht immer an Beschreibungen. Die Pilze, die auf dem unteren rechten Fotos zu sehen sind, rochen ohne jeden Zweifel nach Anis, weshalb ich sie auch in einem Pilzforum postete. Dort löste der Anisgeruch auch einige Verwirrung aus und als Altenativen wurden der Lungenseitling und der rillstielige Seitling vorgeschlagen. Nun, ich suchte die Fundstelle zwei Wochen später wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt sahen sie wie Austernseitlinge aus dem Bilderbuch aus und auch der Anisgeruch war nicht mehr wahrnehmbar. Dies schrieb ich im Forum, doch eine gewisse Skepsis blieb, ob es wirklich Pleurotus ostreatus sei. Mensch, ihr Zweifler. Ja, es ist der Austernseitling, dem der ewige Pilzgeruch auf den Wecker ging und beschloss, sich mal in andere Düfte zu kleiden.
Zum Schluss noch zwei wichtige Aspekte, die genannt werden müssen. Erstens: Pleurotus ostreatus werden heilende Kräfte zugeschrieben. Er soll sich positiv auf die Darmflora auswirken und gegen Darmkrebs helfen.
Zweitens: Der Hammer: Er frisst Fleisch!!! Ja, es gibt nicht nur fleischfressende Pflanzen und Menschen, sondern auch carnivore Pilze. Und zwar hat er es auf Nematoden - Fadenwürmer - abgesehen und wird als nematophag bezeichnet. Ich glaube, "nematophag" wird mein persönliches Lieblingswort des Jahres. Die Pilzhyphen bilden sogenannte Toxocysten aus, die die Fadenwürmer lähmen, in ihren Körper eindringen und ihn verdauen. Dabei sieht er ganz harmlos aus. Hoffen wir mal, dass sich in nächster Zeit keine Austernseitlingsmutationen ereignen, die die Fähigkeit ausgebildet haben, Pilzsammler zu paralysieren und noch im Wald zu verdauen. Zumindest wäre dies ein ganz neuer Aspekt, wenn von Gefahren des Speisepilzsammelns berichtet wird: Herr B. aus A. ist seit dem gestrigen Sonntag vermisst. Er war in einem Waldgebiet des Westmünsterlandes unterwegs. Da in diesem Gebiet von einigen Austernpilzvorkommen berichtet wurde, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er Opfer des menschophagen Pleurotus ostreatus geworden ist. Noch einmal warnt das Innenministerium dringlichst davor, in den Wintermonaten Laubhölzern zu nahe zu kommen.