Urzeitlicher Allrounder

Ein wunderschöner und teilweise sehr groß werdender Baumpilz ist der Zunderschwamm - Fomes fomentarius. Er ist ein mehrjähriger Pilz, der bis zu 30 Jahre alt werden kann, und nur während der kalten Winterzeit stellt er sein Wachstum ein. Bei 30 Jahren Wachstumsmöglichkeit ist es kein Wunder, dass die einzelnen Exemplare recht unterschiedlich ausfallen können. Das Grünliche, das man auf den Fotos sieht, zeichnet ihn allerdings nicht aus. Es müssen Algen sein, die, vom Zunderschwamm ebenso begeistert, beschlossen haben, sich auf ihm anzusiedeln. Verdenken kann man es ihnen nicht, gilt doch der Zunderschwamm als vorzüglicher Heilpilz. Jürgen Guthmann führt in seinem Buch "Heilende Pilze" folgende medizinische Wirkungen an: wundheilungsfördernd, blutungsstillend, entzündungshemmend, antibakteriell, antiviral, Immunmodulation, bei Asthma- und Lungenerkrankungen, bei Blasenleiden, bei Regelbeschwerden, bei Speiseröhren-, Magen- und Gebärmutterkrebs. (Jürgen Guthmann, "Heilende Pilze", Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim, 2017, S. 187) 

Und die medizinische Tradition, die unseren Pilz umgibt, ist sehr alt und reicht wahrscheinlich bis um die 10000 Jahre zurück. Sein Name taucht in den unterschiedlichsten Arzneibüchern auch des alten Roms und des Mittelalters auf.

Gut, wie kann man ihn anwenden? Mal wieder - altbewährt und gut - als Tee. Das klappt immer. Jedoch sollte man ihn wie den Birkenporling eine gute halbe Stunde kochen lassen, damit die heilkräftigen Substanzen aus dem Pilz gelöst werden können.

Wenn man ihn zur Wundheilung benutzen wollte, müsste man an die Trama herankommen, der der Pilz seinen Namenszusatz "Zunder" verdankt. (Das lateinische "fomes" bedeutet übrigens auch Zunder.) Die Trama des Pilzes ist nämlich dajenige Element, das leicht entzündbar ist und ebenfalls seit Steinzeitgedenken zum Feuermachen verwandt wurde. Der Fruchtkörper des Zunderschwamms besteht aus - sagen wir mal - vier Teilen: der Kruste, der Porenschicht unten, dem Myzelialkern in der Mitte des Fruchtkörpers, mit dem er am Substrat verwachsen ist und der Trama, dem sogenannten Fruchtfleisch. 

Nun, die Trama ist wie gesagt leicht entzündlich, und anscheinend hilft sie beim Heilungsprozess, wenn man sie glühend, aber nicht unbedingt mit Hautkontakt, über die Wunde legt. Allerdings wäre es wohl auch möglich, den Pilz zu trocknen und zu Pulver  zu verarbeiten, das man dann entweder als Tee genießt oder auf wunde Stellen des Körpers gibt.

Das Pulver wurde anscheinend in Sibierien als Schnupftabak benutzt. Ja, Fomens fomentarius ist der Allrounder unter den Pilzen. Es steht für mich ohne Zweifel fest: Soviel, wie er kann, kann kein zweiter Pilz auf dem Planeten Erde. 

Wie schon erwähnt ist da seine Qualität als Zunder. Eigentlich funktioniert es schon ganz gut, die Trama in dünne Scheibchen zu zerschneiden und zu trocknen. Schlägt man nun steinzeitlich begabt Funken aus irgendwelchen Feuersteinen, springen sie schnell auf die Trama über, die zu glimmen beginnt. Super, sie brennt nicht, sondern glüht nur. Um sie potenter zu machen, gibt es die Methode des Nitrierens, wobei die Trama mit Holzasche verkocht und danach getrocknet wird. Tja, etwas aufwendiger, aber machbar.

Dann kann man sie zu "Kohlestückchen" verarbeiten, indem man sie in einem abgeschlossenen  brennfesten Gefäß ins Feuer legt, das allerdings ein kleines Loch haben muss, damit der Rauch des glühenden Zunders entweichen kann. Es entstehen tatsächlich "Kohlestückchen", die man auch zum Räuchern benutzen kann. (Räuchern mit Zunderschwamm wurde übrigends aus Heilzwecken ebenfalls durchgeführt.)

Es geht weiter. Aus Zunderschwämmen wird lederähnliche Kleidung (Hüte, Kappen, Taschen) hergestellt. Die Techniken sind leider im Laufe der Zeit verloren gegangen, aber in den Ostkarparten Rumäniens gibt es noch die Zunft der Zunderschwammschneider, die jedoch ihr Wissen um die Weiterverarbeitung des Zunderschwamms geheim halten. Dies liegt darin begründet, dass mittlerweile ihre Produkte ein gern gekauftes Touristensouvenir sind. Klar, soll ja keiner nachmachen.

Dann gibt es Dekorationsobjekte, die Fomens fomentarius als zentrales Element beinhalten: Lampen, Kerzenhalter, Deckenbeleuchtungen.

Weiterhin werden Kosmetika hergestellt: Salben, Cremes.

Und: Schnaps aus Zunderschwamm gibt es auch.

Meine Güte, der arme Pilz. Nach dem, was ich nun alles über seine Einsatzmöglichkeiten geschrieben habe, wundert es ja fast, dass es ihn überhaupt noch gibt. Eigentlich, auch wenn es nicht so klingt, liegt es mir fern; die Natur auf Wirkungsmechanismen auf den Menschen zu beschränken.

Aber Fomens fomentarius hat eine so lange Kulturtradition, dass das Wissen um ihn unbedingt erhalten werden muss. Viele Traditionslinien sind schon unterbrochen, so die Techniken zur Textilherstellung und einige Methoden zu Heilpraktiken.

Doch insbesonderen die Heilkraft der Natur ist wieder en vogue, was hoffen lässt, dass neben allen utilitaristischen Aspekten, trotzdem die Natur in den Fokus rückt als ein Raum, den es zu schützen lohnt.