Meine Güte, wo ist der Hut?

Ich fürchte, der ablösende Rindenpilz - Cylindrobasidium laeve - wird es nicht schaffen, in das kollektive Gedächtnis unserer Kultur einzugehen. Ohne Hut noch Stiel wirkt er ja fast bemitleidenswert. Dabei hätte er ein durchaus symbolisches Potential, was uns ein Blick auf seine Sporen verrät. Sie haben des Öfteren die Tendenz sich zu zweit aneinander zu schmiegen, was den wunderschönen Effekt ergibt, als Herzform interpretiert zu werden. Seht ihr es nicht auch? Ein etwas anderes Yin-Yang-Paar: Zwar sind es hier nicht unbedingt Gegensätze, die sich ineinander verschlingen, sondern Gleiches, das Gleiches sucht, doch seis drum: als Symbol inniger Liebe taugt es allemal. Ja, vergesst die roten Rosen, zum nächsten Valentinstag küsst euch über einem ablösenden Rindenpilz und eure Liebe wird ewig halten und trägt sogar das Versprechen neuen Lebens in sich.

Damit eure Beziehung jedoch nicht schon nach stundenlanger entnervter Suche unter Regen und Kälte nach dem Pilz zerbricht, seien euch hier einige Tips mit auf den Weg gegeben: Meist besiedelt er Totholz von Laubbäumen am Anfang ihres Verwesungsprozesses. Vielversprechend sind abgesägte Seiten von Ästen oder Stämmen, die er einige Male zusammen mit dem violetten Knorpelschichtpilz besiedelt.

Die Fotos zeigen ein recht typisches makroskopisches Aussehen von Cylindrobasidium laeve. Er liegt flach - resupinat - seinem Substrat an, kann sich aber in einigen Fällen auch leicht an einem Rand abheben, was sich effus-reflex nennt. Der mittlere Teil der Fruchtkörper ist farblich so ungefähr zwischen ockerbraun und rosa Tönen einzuordnen. Seine Ränder sind weiß und haben meist einen etwas flattrigen Saum, was man ebenfalls auf den Fotos sehen kann. Als weiteres Merkmal kann man noch anfügen, dass er sich leicht vom Holz lösen lässt, was bei anderen Rindenpilzen oft nicht möglich ist, ohne die gesamte Rinde des Stamms oder Astes gleich mit abzureißen. Weit verbreitet ist er auch noch und am Valentinstag sollte er auf jeden Fall anzutreffen sein.

Die Schwierigkeit bei Rindenpilzen liegt oft darin begründet, dass sich die einzelnen Arten äußerlich doch recht ähnlich sehen können. Um Sicherheit bei der Bestimmung zu bekommen, kann ein Mikroskop tatsächlich ausgesprochen gute Dienste leisten. Mein aus einer Schule ausrangiertes Mikroskop, nachdem es jahrelang von gelangweilten Schülerscharenaugen missbraucht wurde (Nein, es gab bestimmt auch verständisvolle, interessierte Augen), hätte sich bestimmt auch nicht träumen lassen, von einem begriffstutzigen Laien nun mit Pilzsporen malträtiert zu werden. Doch so schnell entgeht es seinem Schicksal nicht mehr. 

Und welche Entdeckung, die herzförmig liebestrunkenen Sporen zu sehen. Und dieses Wissen kann nun nicht nur am Valentinstag romantisch-aufwallende Gefühle hervorrufen. Nein, mein nächstes erstes Date wird in einem Buchenwald vor einem ablösenden Rindenpilz mit einer Flasche Wein begangen. "Kennst du die Form seiner Sporen?" Und schon nähern sich Lippenpaare in bebender Erwartung einander an.