Let it burn
Orte haben die besondere Fähigkeit sich zu wandeln, und dies kann auf die mannigfaltigsten Weisen geschehen. Allein das Gehen durch einen Raum verändert ihn, was Michel de Certeau in seinem Buch "Kunst des Handelns" beschreibt. Dort verfolgt der Autor einen eher ethischen Ansatz, indem er zeigt, dass die in ihrer Bedeutungsstruktur verankerte Räume im Gehen sozusagen performativ aufweichen und für neue Bedeutungen sich öffnen. Die Bedeutungsänderung des Raums hat in unserem Beispiel des Personalbuchs Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht, Sozialversicherungsrecht einen anderen Hintergrund. Raumverändernd greift es auf den Waldweg in der Nähe von Bad Münstereifel aus. In dem Sinne, dass es eigentlich als Gegenstand nicht in die Waldesatmosphäre passt, so dass man unwilkürlich stehen bleibt und ihn näher betrachtet. Seiten sind herausgerissen worden und an verschiedenen Stellen, wurde versucht, sie anzuzünden. Teilweise müssen sie auch gebrannt haben, was die Aschespuren zeigen. Doch sowoh die Dicke des Buches, als auch der Wind müssen dazu beigetragen haben, dass es nicht gänzlich im Feuer aufging. So liegt es nun vor uns: Der Hauptkorpus an einem Fleck, drumherum in unmittelbarer Nähe oder auch schon weiter entfernt einzelne verknitterte Seiten. Natürlich fängt man an, dem Fund Bedeutungen zuzuschreiben und die sind normalerweise kausaler Natur. Die erste Möglichkeit die eines Feuerrituals nach einem mühsam durchlittenen Jurastudium schließe ich aus. Dafür hätte man sich einen netten Platz gesucht und genüsslich eine Seite nach der anderen in ein kleines Lagerfeuer geworfen. (Dies habe ich - ganz nebenbei erwähnt - mit ein paar Freunden nach bestandenem Abitur am Rheinufer gemacht. Eine schöne Nacht war es.)
Die zweite Möglichkeit deutet auf eine plötzliche Wut des Besitzers dieses Buches hin. Ein plötzlicher Ausbruch der Gewalt, ein Ausbruch des Hasses auf das, was diese Seiten repräsentieren. Ein überforderter Jurastudent, ein juristischer Angestellter der Stadtverwaltung von Bad Münstereifel. Und dann dieser Moment des Auflehnens gegen das, was sein bisheriges Leben ausgemacht hat. Symbolisch brennt nun das Personalbuch von 2010. Ich stelle mir die Szene in all ihrer Verzweiflung vor. Denn selbst das symbolische Auslöschen des Alten ist gescheitert. Nur peripher angekokelt liegen die Seiten zwischen den Kräutern auf dem Weg. Ein Gefühl der völligen Unvollkommenheit muss den Zündler überkommen haben, und etwas ängstlich schaue ich mich um, ob nicht irgendwelche möglichen Abgründe, in die sich der Mensch hätte stürzen können, in der Nähe sind. Doch glücklicherweise ist Bad Münstereifel mit ihnen recht spärlich gesegnet.
Nun allerdings favorisiere ich eine dritte Möglichkeit: die der völligen Sinnlosigkeit oder den Sinn verweigernden Daseins des Personalbuches im Wald. Ganz nach dem Motto der chinesischen Enzyklopädie von Jorge Luis Borges, in der eher scheinbar wahllos und sinnlos Tiere kategorisiert werden: so z.B. a) einbalsamierte Tiere, b) Sirenen c) zahme Tiere, d) die, die den Wasserkrug zerstört haben, d) weitere Tiere, e) Einhörner usw (Dies ist kein Zitat, sondern ist das, was mir in Erinnerung geblieben ist.)
Ein Ordnungssystem scheint hier auf, das uns völlig fremd und sinnlos erscheint. Aber nun, in den tausenden von möglichen Welten macht es irgendwo wahrscheinlich schon Sinn, und so müssen wir uns damit abfinden, dass er sich uns nicht erschließt.
Dasselbe passiert nun mit unserem Personalbuch. Die Komponenten sind: Waldweg, Baüme, Pflanzen, Schotter, Personalbuch, Asche.
Keine Ahnung, was es bedeuten soll, aber den Waldweg hat es auf jeden Fall verändert.