Ein etwas anderes Klosterleben
Das Kloster Knechtsteden in der Nähe von Dormagen lohnt auf jeden Fall einen Ausflug, nicht nur um im angrenzenden Wald auf Pilzsuche zu gehen. Es ist eine ehemalige Prämonstratenserabtei aus dem 12. Jahrhundert, in dem heuter der Orden der Spiritaner untergebracht ist. Auch von innen lohnt die Basilika einen Blick. In der Westapsis gibt es ein sehr farbiges Christusfresko aus dem 12. Jahrhundert, das in seinen Ausmaßen beeindruckt. In der Klosteranlage gibt es weiterjhin einen kleinen Kloosterladen, ein Weiterbildungszentrum für Optiker, einen kleinen Friedhof und einen grasbewachsenen Platz mit alten Bäumen. Ein Ort der Ruhe, möchte man sagen. Eintreten tut man in die Klosteranlage durch ein barockes Torhaus, und anschließend wird man durch eine Allee geleitet, die an den Seiten von einer alten Mauer eingegrenzt wird. Und auf diesen Mauern wuchs die gelbe Flechte, die, wenn ich ihr einen Namen geben müsste, nicht anders als Sonnenflechte heißen könnte. Die Mauer zeigt Sprünge und Furchen, die von ihrem Alter zeugen.
Mauern haben letztendlich den Sinn, etwas von etwas anderem abzugrenzen. Grenzen setzen hat auch stets begrenzenden, eingrenzenden und ausgrenzenden Charakter. Das Innen wird vom Außen getrennt, was Sicherheit geben, aber auch Schmerz verursachen kann.
In den Gedichten des italienischen Dichters der Moderne Eugenio Montale tauchen oft Mauern auf. Es sind Mauern, die die Existenz des Menschen begrenzt halten und sie niederdrückt. Oft taucht das Meer als Gegensatz des offenen Raums auf. Wie in dem Gedicht "Meriggiare pallido e assorto" -"Den Mittagsschlaf halten in Blässe und Gedankenverlorenheit" von 1916. Dort wird eine Mauer beschrieben, das Leben um sie herum, die Töne der Tiere und die Brechungen des Lichts auf dem Meer, das nicht erreichbar ist, jedoch vom Standpunkt des lyrischen Ichs wahrgenommen werden kann. Dieses lyrische Ich befindet sich im Schatten dieser Mauer und in der letzten Strophe vergleicht es die menschliche Existenz mit dem Abschreiten dieser Mauer, die auf ihrer Spitze scharfe Glasscherben trägt. Und obwohl dies schon Züge eines hoffnungslosen Nihilismus trägt, zeigt die Mauer Leben - zwar in keinem transzendentalem Sinn, der Hoffnung beinhaltet, aber Leben ohne Sinn, frei jeder Transzendenz und dadurch sinnhaft und positiv konnotiert.
Nun, der Mauer in Knechtstäden ist kein Meeresflimmern eingeschrieben, aber etwas durchbricht ihre klare Grenze. Und dies ist die Flechte, die sich auf ihr nährt. Ein Leben auf der Grenze, der Lebenmittelpunkt auf dem Nichtort, der weder Innen noch Außen ist. Ein schönes Symbol für das wahre ethische Leben, das sich in einem Dazwischen positioniert. Hier der Raum des Kirchlichen-Sakralen - dort das Profane der Welt. Warum auch eine Entscheidung treffen? Dies schließt ja wiederum aus und ein. Nein, die Flechte auf der Mauer in Knechtsteden zeigt einen anderen Weg.