Ein Stillleben der Gewalt
Orte verändern sich auch, wenn man nur Ausschnitte aus seiner Gesamtheit und seinem Kontext herausreißt. Und wenn man sich ihnen nähert und Strukturen nah ans Auge herankommen lässt. Plötzlich verwandeln sich Dinge und wären nicht die Spuren der Bäume in den Spiegelungen des Wassers sichtbar, man hätte Schwierigkeiten, die "realen" Dimensionen des Photos zu bestimmen. Auch die Pfützenränder könnte man als schneebedeckte Gebirgslandschaften wahrnehmen und wir befänden uns nicht im Westmünsterland, sonder inmitten der Alpen vor einem großen Gebirgssee.
In "Wirklichkeit" ist es eine Pfütze im Wald, die unter den Minustemperaturen der Nacht zufror, und nun in den schon sonnigen Morgenstunden im Dezember langsam aufzutauen begann. Die Bruchkanten des Eises wirken in ihren geraden Linien scharf und metallisch, strahlen in ihren Zickzackanordnungen eine Aggressivität aus, die man nicht an seiner eigenen Haut spüren möchte. Die musikalische Untermalung der Szene sind keine fröhlichen Waldhörner, keine Flötentöne, keine harmonischen Quinten, Terzen noch Oktaven. Hier sind es Geschwader von Tritoni, die das Ohr des Waldgängers heimsuchen. Auch die Kühle des Detroit-Techno oder die Industrial-Music a la Throbbing Gristle könnte bei diesem Anblick als Soundtrack ausgewählt werden. Industrial Sounds im westmünsterländer Wald. Die Location für die nächsten Partynächte scheint gefunden.
Wenn man nun den Faktor Zeit mit berücksichtigt, bekommt man etwas Ehrfurcht vor der radikalen Ästhetik dieser Szene. Ein zwei Stunden nach der Aufnahme des Fotos wird sich die Pfütze ihres Ausdrucks entledigt haben, sie wird wieder in einer braunen, tristen Bühe wahrscheinlich keine weiteren Blicke auf sich ziehen. Doch wir wissen es besser. Das nichtssagendste Fitzel Existenz kann in Momenten eine Schönheit entwickeln und Seiten zeigen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Es gilt wie immer, das perfekte Timing zu finden und die Dinge in ihrer radikalen Wandlungsfähigkeit zu erkennen. Braune Pfütze, nichts da, ein messerspeiendes tritonisches Wesen lauert darauf, sich in unsere ignoranten Körper zu bohren.