Der Stolz der Pilzbestimmung
"Als ein Wanderer an einem kühlen Wintertag...", so könnte diese Geschichte mit Italo Calvino beginnen. Aber keine Angst, ich werde nicht von einem Pilzwesen in das andere übergehen wie in Calvinos Roman von einer Wirklichkeit in die andere gegangen wird. Nein, der Weg führt hier eindeutig zu dem kleinsporigen Mürbling - Psathyrella laevissima -, und selbst letzte Zweifel scheinen aus dem Weg geräumt zu sein.
Allein im Winter Pilze mit Hut und Stiel zu finden, die nicht Samtfußrübling heißen, ist nicht immer selbstverständlich. Zwar gibt es einige Trompetenschnitzlinge, grünblättrige Schwefelköpfe und einige versprengte Einzelexemplare anderer Gattungen, jedoch werden zu dieser Jahreszeit unsere Wälder hauptsächlich von Gestalten wie Kohlebeeren, Rindenpilzen, Spaltporlingen, Drüslingen, Schichtpilzen, Zitterlingen usw. bevölkert. Faszinierend ist das allemal.
An diesem besagten Tag war ich erst einige Meter in den Wald gegangen, als sich zu meiner linken Seite eine gerodete Fläche zeigte, auf der noch viele Äste und Stämme zwischen Baumstümpfen liegen gelassen worden waren. Im Winter sind dies ideale Plätze, um saprobiontisch lebende Pilzwesen zu entdecken. Ich also mit allem mir zur Verfügung stehenden Enthusiasmus hinein und schon nach kurzer Zeit entdeckte ich die Pilze auf den Fotos. Gesellig bis andeutungsweise büschelig wuchsen sie zwischen Holzästen in der unmittelbaren Nähe eines Laubholzstumpfes. Dass es eine Art aus der Gattung Psathyrella sein musste, war relativ deutlich. Die Art kannte ich jedoch nicht. Also nahm ich einen von ihnen mit nach Hause, um Sporen und Lamellen unter das Mikroskop zu bringen. Die Sporen waren sehr klein, was mir bei der Bestimmung sehr entgegenkam. Und jetzt bitte ich alle, die sich mit Pilzen auskennen, besser nicht weiterzulesen, denn in den nächsten Zeilen stelle ich meinen unbegrenzten Dilettantismus zur Schau. Ich gab "Psathyrella" und "kleine Sporen" als Suchbegrigffe bei google ein und recht schnell wurde ich fündig. Nach makroskopischem Bildabgleich blieben eigentlich nur zwei mögliche Kandidaten übrig: Psathyrella piluliformis und Psathyrella laevissima. Nach Untersuchung einer Lamelle entdeckte ich Pleurozystiden, die am oberen Ende eingeknickt waren, und dies deutete nun recht eindeutig auf den kleinsporigen Mürbling. Um mich zu versichern, stellte ich die Fotos in einem Pilzbestimmungsforum ein, in dem auch ein ausgesprochener Psathyrella-Spezialist aktiv ist, der mir meinen Fund bestätigte.
Diese Art scheint oder zumindest schien sehr selten zu sein und die wenigen Funde, die es in Deutschland gibt, wurden vielfach in den Wintermonaten gemacht. Besagter Spezialist meinte, dass die Fundmeldungen des kleinsporigen Mürblings zunehmen würden, worauf sich ein anderes Forumsmitglied zu Wort meldete und zu bedenken gab, dass dieser Pilz vielleicht schon immer recht häufig gewesen sei, er nur nicht als Psatyrella laevissima identifiziert worden sei. Zum einen sind natürlich weniger Pilzsammler im Winter unterwegs, zum anderen kann man diesen Pilz tatsächlich mit Psatyrella piluliformis - dem weißstieligen Stockschwämmchen - verwechseln. Sei es wie es sei. Makroskopisch denke ich, dass sich unser Pilz von letztgenannten schon unterscheidet. Doch um wirklich sicher zu sein, braucht man einfach mehrere Funde, um das makroskopische Spektrum einer Art einschätzen zu können. Wenn der Steinpilz nur alle Jubeljahre gefunden werden würde, hätte man sicherlich auch Schwierigkeiten, ihn als Steinpilz anzusprechen. Je mehr Pilze einer Art man zu Gesicht bekommt, desto einfacher können auch etwas abweichend aussehende Exemplare identifiziert werden.
Nun, der kleinsporige Mürbling scheint mir die Chance, ihn genauer kennenzulernen, nicht zu geben. Schon zwei Tage nach dem Fund machte ich mich wieder zu der Stelle auf, an der ich ihn gefunden hatte, um bessere Fotos zu machen. Was soll ich sagen, er war verschwunden, weg, futschikato, vom Erdboden verschluckt. Puh, ich glaube, er legt keinen gesteigerten Wert darauf, gekannt zu werden.