Wollig mit Socken

Über den Fund des wolligen Scheidlings - Volvariella bombycina - habe ich mich sehr gefreut. Er ist relativ selten, und die ausgewachsenen Fruchtkörper sind ästhetisch schön anzuschauen. Dem normalen Speisepilsammler lässt sein Anblick das Herz etwas schneller gehen und wohlige Schauer perlen den Rücken hinunter. Schuld daran ist die Volva, die sich an der Basis seines Stieles befindet. Der bekannteste Vertreter, der solch eine Scheide besitzt, ist der grüne Knollenblätterpilz - Amanita phalloides - und sein Anblick droht mit Tod und Verderben. Schon seine Berührung meiden viele und falls sie doch geschehen sollte, wähnen sich einige dem Grabe einen großen Schritt nähergekommen zu sein. Zur Beruhigung: Man kann auch grüne Knollenblätterpilze anfassen, liebkosen, streicheln - es wird nichts passieren. Die Volva ist Teil der Gesamthülle des Pilzes - das Velum universale-, die den jungen Pilz schützt. Wenn er sich streckt, bleibt sie am Fuße des Stiels zurück, was wir auf den Fotos gut erkennen können. Beim wolligen Scheidling ist die Volva dauerhaft, was bedeutet, das man sie als Bestimmungsmerkmal heranziehen kann. Zuerst weiß, bekommt sie in zunehmenden Alter gelb-bräunliche Farbtöne. Sonst unterscheiden sich die weiteren Merkmale sehr stark von eben genanntem Knollenblätterpilz, was auch zu erwarten ist, denn beide Pilze gehören unterschiedlichen Gattungen an. So hat Volvariella bombycina in zunehmendem Alter rosa gefärbte Lamellen, was durch die reifen rosa Sporen bewirkt wird. (Bei Knollenblätterpilzen bleiben die Lamellen weiß.) Dann natürlich die Hutoberfläche: wollig passt tatsächlich ganz gut für die abstehenden Schuppen, die einen flauschig-weichen Charakter haben.

Auch essbar ist er, jedoch sollte man ihn nicht unbedingt für Speisezwecke sammeln, da er doch wegen seiner Seltenheit schützenswert ist.

Besonders nun war der Ort, an dem ich ihn gefunden habe. Es war das Neandertal in der Nähe von Düsseldorf, in dem 1856 die Überreste eines Nendertalers gefunden wurden, um die sich erst einmal ein wissenschaftlicher Streit entbrannte. Von Johann Carl Fuhlrott wurden die Sklettteile als Knochen eines Urzeitmenschen interpretiert, was von namhaften Wissenschaftlern seiner Zeit, so u.a. Rudolf Virchow, der die Knochenbildungen als pathologische Deformationen eines modernen Menschen interpretierte, als falsch abgelehnt wurde Tja, auch wissenschaftliche Koryphäen irren sich gewaltig.

Wie das Neandertal im 19. Jahrhundert ausgesehen hat, kann man auf Gemälden von Malern der Düsseldorfer Malerschule sehen. Es war tatsächlich ein wildromantisches Tal, durch das die wilde Düssel floss. Sogar Menschen hat es gegeben, die sich liebesleidgeplagt dort von Felsen in den Tod stürzten. (Dass auch im Neandertal schon ab 1849 industrieller Kalkabbau betrieben wurde, sei nur am Rande erwähnt. Schon damals wurde es also grundlegend verändert.)  Geht man heute durch diese Landschaft spazieren hat sich diese wilde Romantik in ein sanftes befriedetes Wochenendausflugsziel gewandelt und man wundert sich, wie auch Landschaften in kurzer Zeit ihr Wesen wandeln.

Möchte man in die Menschheitsgeschichte abtauchen, kann man das Neandertal-Museum besuchen. Ansonsten hat das Tal weitere Atraktionen: so das eiszeitliche Wildgehege.

Und hier wären wir wieder beim wolligfen Scheidling. Er wuchs direkt am Rande neben der Weide, auf der zwei urzeitliche Pferde fröhlich munter dahin galoppierten. Ha, urzeitliche Pferde ist gut: Es waren Heckpferde, ein völlig verpfuschtes Experiment, von zwei Menschen, die ein Pferd züchten wollten, das dem ausgestorbenen Tarpanpferd glich. Es gelang, aber von Urzeit kann wahrlich keine Rede sein. Simulation selbst im Tierreich. Bald stellt sich wahrscheinlich heraus, dass die Neandertalerknochen aus Kalkstein geformt wurden.

Und unser Pilz? Wahrscheinlich ist er nur ein verpfuschtes Experiment, den Urzeitknollenblätterpilz nachzuzüchten.