Das Haus der Gallmücke
Die meiste Zeit ihres Lebens verbringt die Buchengallmücke - Mikiola fagi - in diesem kleinen hübschen Hauschen als Larve, in dem sie auch den Winter verbringt. Als eigentliche Mücke ist ihr Leben recht kurz. Kaum im Frühjahr geschlüpft, bleibt nur noch Zeit, sich schnell einen Sexualpartner zu suchen, Eier zu legen und dahinzuscheiden. Demnach ist diese gelblich anmutende Behausung tatsächlich der wirkliche Lebensmittelpunkt im Leben der Mikiola fagi. Die Eier werden auf jungen Buchenblättern abgelegt, auf denen sie gut heften bleiben können. Sind die kleinen Larven geschlüpft, werden durch Saugbewegungen Cytokinine in das Pflanzengewebe - hier das Buchenblatt - übertragen, die letztendlich für die Bildung der Galle - des Häuschens - verantwortlich sind. In ihr nährt sich die kleine Larve, überwintert, verpuppt sich und schlüpft, um einen neuen Lebenszyklus einzuläuten.
Eigentlich löst sich die Galle vom Buchenblatt im späten Herbst, um den Winter auf dem Waldboden zu verbringen. In unserem Falle ist sie sanft auf ihrem Blatt auf den Boden geschwebt. Wenn man sie das erste Mal sieht, weiß man nicht so recht, was man von ihr halten soll. Ist es ein Pilz? Ist es ein Samen? Erst einiges Nachforschen im Internet hat mich auf die Spur der Gallmücke gebracht. Und ich stelle mir ein Lebewesen vor, das fast ein ganzes Jahr in diesen hartwändigen Mauern (das Gehäuse ist wirklich steinhart) lebt und dem nur wenige Tage Leben in der Luft bleiben. Ein Vorgeschmack auf die Gefühlswelt solch eines Wesens bietet die Architektur der Galle. Sie wirkt wie eine in Gelb erstarrte Träne, die über ihr eigenes Schicksal weinen möchte. Doch in der Mückenwelt bedeutet die Tränenform wahrscheinlich das genaue Gegenteil. Sie ist Ausdruck des höchsten Glücks, der höchsten Euphorie. Denn letztendlich ist die "Träne" der absolute Schutzraum, der absolute Vorbereitungsraum für den Gipfel der Existenz der Buchengallmücke: der liebestrunkene Fortpflanzungsflug im Frühjahr.
Und so kommt mir noch ein Vorschlag für kommende Architekturgenerationen in den Sinn. Das Haus der Buchengallmücke könnte als Modell zukunftsweisender Stadtlandschaften dienen, die das neue Zeitalter der Postarchaikmoderne einläuten werden.