Purpur - ein Kardinal im Winterlicht
Im Winter auf Pilzsuche zu gehen, kann großen Spaß machen. Etwas verständnislos wird man schon angeschaut, wenn man jemandem im Januar, der einen fragt, was man in den letzten Tagen so getrieben habe, antwortet, dass man im Wald gewesen sei, um Pilze zu suchen. Tja, für die meisten Menschen - um mal wieder arrogant und hochnäsig zu klingen - beschränkt sich die mykologische Welt auf Steinpilz und Marone, die ja bekanntlich hauptsächlich im Herbst wachsen. Allerdings ist es schon richtig, dass die Art des Suchens etwas verändert ist. Oft gehe ich, wenn ich nicht auf Winterspeisepilze aus bin, ohne Korb und nur mit Kamera bewaffnet in den Wald. Ständerpilze gibt es nun tatsäch recht wenige, aber es lohnt sich verstärkt auf Holzstapel, Baumstümpfe, Äste und allgemein Totholz zu achten. Dann wird man garantiert auch auf den violetten Knorpelschichtpilz - Chondrostereum purpureum - treffen, der in den Wintermonaten ausgesprochen häufig ist. Wie bei allen Schichtpilzen ist seine Wuchsform - und jetzt haltet euch fest - effus-reflex. Mein Gott, es macht schon Spaß, mit biologischem Fachvokabular zu glänzen, das man sich eben bei Wikipedia erlesen hat. Was das ist - effus-reflex - , sieht man auf den Fotos. Ein Teil des Pilzes liegt dem Substrat flach an und am oberen Rand sind die Fruchtkörper hütchenförmig eingebogen. Das ist alles. Und noch etwas kann auf den Fotos erkannt werden: Der violette Knorpelschichtpilz ist äußerst aggressiv, hat ein rasantes Wachstum, weshalb er auch mit als erster Totholz besiedelt und Weißfäule verursacht. Schaut ihn euch an: Wie eine Moräne liegt er still lauernd im Totholz und mit weit aufgerissenem Maul erwartet er die nichtsahnende Hand des Pilzsammlers. Das Violett sind die getrockneten, schon dem Stoffwechsel einverleibten Blutreste derjenigen, die dachten, Pilze seien harmlos. Nein, ganz und gar nicht, harmlos ist eines der letzten Attribute, die ich ihm geben würde. Saprobiontisch - also Totholz zersetzend - oder parasitär in noch lebenden Bäumen breitet er sich aus, wobei er Laubholz und hier vor allem die Rotbuche bevorzugt.
Und in all seiner Zersetzungswut kleidet er sich in eine wahrhaft herrschaftliche Farbe: Purpur. Eine Farbe, die im antiken Rom nur den Senatoren zugestanden wurde. Und in der katholischen Kirche ist es die Farbe, die den Kardinälen vorbehalten ist. Kardinal war auch Cesare Borgia, der, zumindest in seiner romantischen Verklärung, als skrupelloser Machtmensch mit Sinn für das ästhetisch Schöne gesehen wurde. Sex and Crime in der italienischen Renaisance. Zum Sex gehört das ihm nachgesagte inzestuöse Verhältnis zu seiner Schwester Lucrecia, mit der er auch ein Kind gezeugt haben soll.
Nun, Inzest kann man unserem violetten Knorpelschichtpilz sicherlich nicht vorwerfen. Aber eine hedonistisch-ausschweifende Natur hat er allemal. Er kommt sehr oft vergesellschaftet mit dem ablösenden Rindenpilz - Cylindrobasidium laeve - und dem Tintenstrichpilz - Bispora antennata - an demselben Totholz vor. Diese Gemeinschaft ist so typisch, dass sie sogar einen eigenen biologischen Namen erhalten hat: Bisporetum antennateae. Eine Melange à trois und hoffen wir einmal, dass sich nur hemmunglose Ausschweifung unter ihnen abspielt.
Übrigens wird versucht, die Aggressivität des Pilzes nutzbar zu machen. Es gibt Versuchsdurchläufe ihn als Bioherbizid im Kampf gegen die Ausbreitung der spätblühenden Traubenkirsche einzusetzen.
Nun, der Mensch versucht ja alles nutzbar zu machen. Ich ziehe es vor mich vor sein Moränenmaul zu setzen und in schaurigen Meditationen zu versinken.