Ein Loblied auf das Mikroskop
Nein, schwer zu bestimmen ist er eigentlich nicht, und ich sehe schon die Pilzexperten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich die verzweifelte Frage stellen, wie um alles in der Welt man ein Mikroskop zur Bestimmung des Goldmistpilzes (Bolbitus titubans) braucht. Tja, ich habe es gebraucht. Ein Grund lag darin, dass ich mich direkt auf eine Gattung eingeschossen und dann alle Merkmale, die eigentlich gegen sie sprechen, wohlwollend ignoriert habe. (Bei Speisepilzen wäre das dann nicht so lustig) Auf einem meiner vielen Spaziergänge durch die Bröcke Anfang November hatte ich schon zwei verschiedene Samthäubchen entdeckt und fotografiert. Zu einer Artbestimmung reicht mein Pilzwissen bei ihnen nicht. Selbst unter dem Mikroskop sehen sich alle von ihnen recht ähnlich, und man braucht schon viel Können, viel Erfahrung und gute Spezialliteratur, um irgendwie eine Bestimmung hinzubekommen. Nebenbei, alles Eigenschaften und Dinge, die ich nicht besitze. Trotzdem, just for fun, landen sie bei mir auch manchmal unter dem Mikro, kann aber jedemal nur bestürzt feststellen, dass ich sie nicht bestimmen kann.
Als ich dann diesen hübschen kleinen gelben Pilz im Gras sehe, denke ich: "Mensch, das könnte das Goldsamthäubchen sein", ein ebenfalls kleiner gelber Pilz. Selten soll er sein, und ich beglückwünsche mich schon innerlich zu meinem Sammlerglück. Zuhause dann suche ich die Mikromerkmale des Goldsamthäubchens im Internet (phantastisch, man findet in ihm fast alles) und mache mich daran, zuerst die Sporen meines Pilzes zu untersuchen. Eigentlich hätte jetzt schon die Sporenfarbe sagen können, dass ich es hier mit einer anderen Gattung zu tun haben muss. (Samthäubchensporen haben so etwas von Vollmilchschokoladenbraun und man sieht keine "Pünktchen", sondern sie sind monochrom.)
Nun, gekonnt ausgeblendet, und selbst die Maße stimmen überhaupt nicht überein. Geschenkt, auch ausgeblendet. Dann geht es an die Lamellenschneide. Das Pilzhütchen klebt an meinen Fingern, und ich kämpfe mit einer Rasierklinge und den Lamellen. Schließlich schaffe ich es, ein kleines Stückchen unters Mikroskop zu bekommen. Und es passt nichts: Die Basidien (die Zellen, an denen die Sporen gebildet werden) sind rundlich aufgeblasen, und das können Samthäubchen eigentlich nicht. Also, alles wieder auf Null. Perplex setze ich mich an den Computer und gebe Merkmale meines Pilzes in einer Pilzsuchmaschine ein, und tatsächlich taucht ein Pilz auf, der meinem verdammt ähnlich sieht: der Goldmistpilz. Alles passt, auch die Mikrobilder, die ich mir im Netz anschaue.
Eigentlich desaströs das Bestimmungsvorgehen, am Ende bin ich jedoch verdammt stolz.
Schon der klebrige Hut hätte mir im Wald sagen müssen, dass es kein Samthäubchen sein kann. Nunja, ausgesprochen hübsch ist er, obwohl er auch auf Misthaufen und Scheiße wachsen kann. Auf jeden Fall muss der Boden nährstoffreich sein. Mein Pilz hat mir den Gefallen getan, ruhig im Gras zu wachsen, weshalb ich ihm auch nachsehe, sich als Goldsamthäubchen getarnt zu haben.