Der Geschmack des Waldes

Es ist schwer zu sagen warum, aber der Geschmack des Fichtenreizkers - Lactarius deterrimus - verkörpert für mich den perfekten Waldgeschmack. Dabei ist sein lateinischer Artname alles andere als eine kulinarische Einladung. Gar als Superlativ von "deterior" - schlecht minderwertig - kommt er daher, als der eigentlich "schlechteste Milchling". Nomen ist zum Glück nicht immer omen, ja, wagt es, lacht den Lateinern ins Gesicht und pinkelt ihnen mit eurem blutroten Urin ans Bein. Blutrotes Urin? Ja, nach einer Fichtenreizkermahlzeit färbt sich das Urin rötlich, so ähnlich wie bei roter Beete. Dies ist aber kein Grund sich auf die Notfallstation des nächsten Krankenhauses einliefern zu lassen. "Blut" trägt auch ein weiterer deutscher Name für diesen Pilz: Fichten-Blut.Reizker. Und alles an seiner Erscheinung ist rot-orange. Der Hut, der Stiel, die Lamellen. Im Alter bekommt er auch oft grünliche Stellen, was man auf den Fotos gut sehen kann. Dann seine Milch: rot. Sein Fleisch: rot, wandelt sich aber auch nach gewisser Zeit ins Grünliche. Tja, alles scheint einem ja förmlich entgegenzuschreien, dass man ihn nicht essen soll. Jedoch wiederhole ich es: Wagt es! Sein Geschmack ist leicht bitterlich herb und hat eine harzige Komponente, was für mich den Waldgeschmack ausmacht. Die Bitterkeit ist nicht stark und nur leicht dezent im Hintergrund anwesend, was ebenfalls gaumentechnisch interessant ist. Wenn man ihn das erste Mal isst, dann sollte nur dieser Pilz in die Pilzpfanne, damit man seinen Geschmack in aller Reinheit und in allen Geschmacksnuancen wahrnehmen kann,. Und einfach zu finden und zu bestimmen ist er auch noch. Er ist streng an Fichten gebunden und wächst meist in großen Mengen auf grasigen Stellen am Waldrand, sodass man sich noch nicht einmal die Mühe machen muss, ins Unterholz zu kraxeln und womöglich aus den Waldestiefen nicht mehr herauszufinden. Nein, der Fichtenreizker macht es einem einfach. Wenn man allerdings Gäste zu dieser Pilzpfanne einlädt, sollten sie großes Vertrauen in eure mykologischen Fähigkeiten haben. Sonst kann es einen unentspannten Abend geben. "Die sind wirklich essbar? Kann man die nicht verwechseln? Weißt du, was du tust? Magst du mich noch?" Auch Spaziergänger im Wald schauen einen etwas verängstigt fragend an, wenn sie den gefüllten Korb mit Fichtenreizkern sehen. Die meisten von ihnen trauen sich dann nicht einmal, einen anzusprechen. "Wenn der diese Pilze sammelt, dann rammt er uns bestimmt gleich sein Pilzmesser in den Bauch." So interpretiere ich zumindest die von Entgeisterung ummantelten Augen, die mich anblicken.