Ein Pilz erobert den Süden
Wenn ich einmal alt und gebrechlich bin und immer und immer wieder dieselben Geschichten meinen entnervten Zuhörern vortrage, dann wird die über den geschmückten Röhrling - Suillus picta - sicher dazugehören. "Als ich einmal..." ...Gähn
Im September war ich in der Bröcke in einer kleinen jungen Kiefernforstung unterwegs und erblickte zwischen den niedrig hängenden Ästen einen rötlichen Schimmer, der zu einem Pilz gehörte. Ich dachte an den Hohlfußröhrling und wollte ihn unbeachtet stehen lassen, aber zum Glück habe ich mir doch die Mühe gemacht, mich zu bücken und ihn zwischen den Ästen herauszudrehen, eher - ich muss es gestehen - herauszubrechen. Nein, der Hohlfußröhrling war es nicht, und ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn einordnen sollte. Also legte ich ihn in den Korb und schaute zu Hause nach, wer er sein könnte. Relativ schnell wurde ich fündig: der geschmückte Röhrling - Suillus pictus - musste ess sein. Etwas ins Zweifeln geriet ich nur, als ich las, wie selten er sein solle. Eigentlich stammt er aus Nordamerike (in Asien gibt es ihn allerdings auch) und hat von dort seine Reise nach Deutschland zurückgelegt. Der kleine Schlawiner, wohl heimlich seine Sporen in einem Schiff deponiert und schon ist seinem Siegeszug Richtung Süden nichts mehr entgegenzusetzen. In den 60er-Jahren wurde er erstmals in Ostfriesland nachgewiesen, und danach wurde es still um ihn. Erst Anfang des 3. Jahrtausends fand man ihn wieder, in Ostfriesland und dann auch in der Gegend um Osnabrück. Ein Fund von 2011 war dort sogar den Zeitungen einen Bericht wert. Allerdings frage ich mich, ob es nicht der Hartnäckigkeit des Finders geschuldet war, dass er in der Zeitung bedacht wurde.
Sei es wie es sei, mein Fund - so meine ich - ist der bisher südlichste Nachweis der Art. Und keine Zeitung hat angerufen, meine Wohnung wurde nicht von Journalisten belagert. Nichts. Selbst mein Post in einem Pilzforum erntete nur zwei mickrige Glückwünsche, weshalb ich diesen Raum hier nutze, um endlich etwas angeben zu können.
Suillus pictus ist ein Ektomykorrhizapilz, was durchaus wichtig zu wissen ist. Ektomykorrhizapilze gehen eine Verbindung mit dem Wurzelgeflecht von Bäumen ein und beide, Pilz und Baum, profitieren von dieser Symbiose: Der Baum erhält Nährsalze und Wasser, der Pilz Abbauprodukte der Photosynthese, die er nutzen kann, weil er selbst keine Enzyme besitzt, um komplexe Kohlenwasserstoffverbindungen abzubauen. Auch geht man davon aus, dass Bäume die Pilzhyphen nutzen, um untereinander zu "kommunizieren".
Einige Pilzte nun sind sehr wählerisch in der Auswahl ihrer Baumpartner, was der Pilzsammler nutzen kann. So ist Suillus pictus streng an fünfnadelige Kiefern gebunden.
Ach du Weh, waren das nun 5-nadelige Kiefern? Um nun wirklich alles auf allen Ebenen abzusichern, stapfte ich am nächsten Tag wieder in den Wald zu besagtem Kiefernforst. Ja, die Kiefern hatten fünf Nadeln. Mit stolzgeschwellter Brust trat ích den Heimweg an.
Klammheimlich hoffe ich, dass er sich nicht zu schnell ausbreitet, denn das würde meinen Sammelerfolg schon mindern. Wenn er im nächsten Jahr als Massenpilz die bayrischen Vorgärten erobert hat, lösche ich diesen Beitrag.
In der Zwischenzeit jedoch erfreue ich mich an den Fotos. Etwas abgeschabt wirkt er ja schon, so als ob er es höchstpersönlich gewesen wäre, der die lange Reise von Nordamerika ins Münsterland angetreten wäre. Oder diese abgeschabte Stielstruktur hat sich in seine DNA eingeprägt, um alle Nachkommen an ihr leidvolles Herkommen zu erinnern. Wer weiß.