Eine Nacht im Krankenhaus
Um es gleich vorwegzuschicken: Ich lebe noch. Und: Jedes der drei Fotos zeigt den Gifthäubling - Galerina marginata - oder zumindest einen Häubling aus der Gifthäublingsgruppe. (Ja, es gibt mehrere, die man allerdings nur mit Mikro und guter Literatur trennen kann.) Ich hatte Stockschwämmchen schon mehrmals gegessen, allerdings zusammen mit einem Freund gesammelt, dessen Pilzkenntnisse ich nicht in Frage stellen möchte. Nun war es soweit, dass ich meine ersten Stockschwämmchen alleine gefunden hatte. Es war Dezember - ja, auch da wachsen sie noch. An einem Laubholzstamm wuchsen wunderschöne frische Stockschwämmchen, die ich einsammelte und zusammen mit gefundenen Samtfußrüblingen - Flammulina velutipes - zuhause zu einem kleinen Pilzgericht verarbeitete, Eigentlich - nur nebenbei - sind Stockschwämmchen ein ausgezeichneter Pilz, um Suppen zu kochen.
Leichtsinnig war ich nicht. Mir war bewusst, dass es den Gifthäubling gibt und hatte mich auch mit den Unterscheidungsmerkmalen beschäftigt. Das wichtigste sind beim Stockschwämmchen die Schuppen am Stiel, und die hatten meine Pilze wie im Bilderbuch.
Also, so what? Nach dem Essen war alles gut, nur eine gewissen Magenschwere, die nach Pilgzerichten - zumindest bei mir - des Öfteren auftritt. Auch der nächste Tag: alles gut. Doch dann, gegen Abend fing mein Bauch doch an, weh zu tun. Ein Drücken, Verstopfung, einige Schmerzen. Nun, es waren schon mehr als 24 Stunden nach der Pilzmahlzeit vergangen, doch ich bin unruhig geworden. Google: Symptome nach Genuss des Gifthäublings nach 8-12, manchmal 24, in selten Fällen auch 48 Stunden. Tja, da war sie dahin, die Ruhe. Zwar waren meine Verstopfungs-Symptome sozusagen diametral entgegengesetzt zu der Giftwirkung des Amatoxin (so nennt sich der Giftwirkstoff der Galerina marginata): Erbrechen, Durchfall - doch ich war dem Wahn einer tödlichen Vergiftung verfallen. Unruhig ging ich durch die Zimmer meiner Wohnung und fasste schließlich den Entschluss, ins Krankenhaus zu fahren. Uhrzeit: 23:00 Uhr. Auf dem Weg vom Parkplatz zum Eingang des Krankenhauses kam ich mir völlig verlassen vor. Kein Mensch begegnete mir. Keine Sirenen. Nur Totenstille. Dabei hört man in Ahaus gefühlt jede halbe Stunde die Martinshörner der Krankenwagen, wobei ich mich frage, ob es die Langeweile hier ist, die die Menschen die Notrufnummer wählen lassen. Ahaus ist schließlich ein kleines Dorf.
Der Portier am Eingang fragt mich, was ich wolle, und ich antworte ihm, dass ich Angst hätte, mich mit selbstgesammelten Pilzen vergiftet zu haben. Er schaut mich etwas entgeistert an - Dezember? Selbstgesammelte Pilze? Doch zum Glück fragt er nichts, sondern schickt mich in einen Gang, wo ich warten soll. Eine Krankenschwester kommt, führt mich in einen Behandlungsraum, und wir warten auf die Ärztin, die auch bald kommt.
Es ist eine Bulgarin, die das Wort Gifthäubling nicht kennt und den Namen googlen muss. Dann aber: "Ah, Gifthäubling, sehrrrrr giftig." "Ja, das weiß ich leider auch, doch habe ich mich vergiftet?"
Um diese Frage zu beantworten, wird mir Blut abgenommen, und während wir auf die Laborergebnisse warten, erzählt sie mir, dass sie auch Pilze sammele, aber nur in Bulgarien, in Ahaus würde sie sich nicht auskennen. Mensch - deine Gelegenheit. Lade sie zum Pilzesammeln ein. Doch, waagerecht auf einer Krankenhausbahre liegend, kommt mir das Naheliegende nicht in den Sinn. (Wobei - wehleidend und inkompetent wie ich so daliege - hätte sie mein Angebot wahrscheinlich auch dankend abgelehnt.) Dann erzählt sie von ihrer Mutter in Bulgarien, die auch Pilze sammele. Auch hätte sie mehrmals schon starke Vergiftungserscheinungen gezeigt, doch sich geweigert, zum Arzt zu gehen. "Was will die bulgarische Ärztin mir sagen?" "Dass ich ein richtiges verweichlichtes Weichei bin, das bei jedem Magenzucken ins Krankenhaus rennt?" Wahrscheinlich. Osteuropäer haben doch ein entspannteres Verhältnis zu Pilzen. (Wie der 70-jährige Russe, der sich mit Knollenblätterpilzen vergiftet hat und sagte, dass er Pilze so sammele, dass, wenn sie gut riechen, nicht giftig sein können. Jawoll - immerhin ist er 70 Jahre alt geworden.)
Nun - zurück ins Krankenhaus. Meine Blutwerte sind unauffällig, ich bin beruhigt. Sie wollen mich noch zur Beobachtung über Nacht dabehalten, doch ich lehne ab. Wenn die Blutwerte in Ordnung sind, habe ich wohl doch die richtigen Pilze gegessen.
Um 3:00 Uhr verlasse ich das Krankenhaus.
Völlig fertig - ein Jahr später habe ich das erste Mal den Gifthäubling gefunden, den auf den Fotos. Ja, wenn man darauf achtet - verwechseln kann man ihn eigentlich nicht.